Freitag, 21. Februar 2014

Flucht nach vorn

Eingestellt von Lana Silny um 20:02


Flucht nach vorn





Anna legte ihre Paddel aus der Hand und griff nach ihrer Wasserflasche. Dabei
begann das kleine Boot, in dem sie saß, gefährlich zu schwanken. „Ich kann es nicht fassen, dass ich das wirklich getan habe!“, flüsterte sie vor sich hin. Sie ließ ihren Blick ehrfürchtig über das Ufer der Loire gleiten, streckte ihre Nasenspitze der Nachmittagssonne entgegen und seufzte tief. Ohne groß darüber nachzudenken, hatte sie ihre Sachen gepackt und sich in ihr kleines Cabrio gesetzt. Mit nur einem Ziel: Endlich einmal die Schlösser der Loire zu besuchen und den Fluss, der sie schon ihr Leben lang faszinierte, hinabzupaddeln.


„Was willst du denn bei den Froschfressern?“, hatte Tim ihre Bitte, den nächsten gemeinsamen Urlaub doch einmal dort zu verbringen, abgeschmettert. „Langweilige Schlösser anschauen und auf einem französischen Fluss entlang schippern? Na da kann ich mir aber Schöneres vorstellen“, hatte Tim noch als Sahnehäubchen hinzugefügt.

Wie das aussah, wusste Anna ganz genau. Zwei Wochen  Mallorca, einem Aida Partyschiff oder anderen Touristenhochburgen. Rösten am Strand und abends feiern. Das war ein Urlaub ganz nach Tims Geschmack. Anna konnte sich nur zu gut an seine Reaktion erinnern, als sie ein einziges Mal erwähnt hatte, dass es ihr allergrößter Traum war, einmal Urlaub in Schottland zu machen. Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Das erste Mal seit einer Woche begann sie, an der Trennung von Tim doch etwas Gutes zu sehen. 

Natürlich konnte sie es kaum ertragen, dass sie ihn mit ihrer Nachbarin erwischt hatte. Und dann auch noch in ihrem eigenen Bett! Ihr fiel ein, dass sie das Bett unbedingt entsorgen musste, wenn sie wieder zu Hause in Deutschland war. Sie war auch nicht stolz auf ihre eigene Reaktion. Sie hätte niemals von sich selbst gedacht, dass sie überhaupt zu einer derartigen Kurzschlussreaktion fähig war. Schließlich war sie doch immer die Vernünftige gewesen. Aber offensichtlich hatte sie sich getäuscht. Anna hatte sämtliche Klamotten des Fremdgängers und seines Flittchens geschnappt, aus dem Fenster geworfen und dann beide mit lautem Geschrei vor die Türe gesetzt. Die nackten Tatsachen und die Reaktionen der Anwohner, die sie gerade wieder vor ihrem inneren Auge sah, entlockten ihrer Kehle ein kleines Glucksen. 

Und dennoch - sie hasste Tim und auch die Nachbarin zutiefst. Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Eine Träne kullerte Annas Wange hinunter und fiel auf das abgeschabte Holz ihres Paddelboots. 
Nein, über Tim war sie noch lange nicht hinweg. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit, hatte Elie Wiesel, ein amerikanischer Schriftsteller und Nobelpreisträger, einmal gesagt. „Gleichgültigkeit“, wiederholte Anna leise. Motiviert nickte sie sich selbst zu. Ja, genau das war es, was sie wollte. Gleichgültigkeit Tim gegenüber. So wie er seit Jahren ihren Wünschen gegenüber gleichgültig gewesen war. So, wie wenig ihn interessierte, was sie wollte. Und so, wie er jedes Mal mit den Schultern zuckte, wenn er ihre Gefühle verletzt hatte. 

„Sei doch nicht so empfindlich“, waren die einzigen Worte, die er für ihre sensible Art fand. Sicherlich, Tim besaß auch seine guten Seiten, sonst wäre Anna nicht fast zehn Jahre bei ihm geblieben. Allerdings hatte er in der letzten Zeit immer mehr zu meckern an ihr gefunden. Diverse Male hatte er, der Inbegriff eines Egoisten, sogar ihr unterstellt, ein solches Exemplar zu sein. Tim gab Anna das Gefühl, alles falsch zu machen. Egal was sie tat und wie sehr sie sich anstrengte: Sie konnte es ihm nie recht machen. 
 
Irgendwann, langsam aber sicher, verlor sie einen Teil von sich selbst. Die Anna, die sie wirklich war. Ob Tims Affäre nun der Grund für sein Verhalten war, oder nur eine Auswirkung ihrer kaputten Beziehung, konnte sie nicht sagen. Aber nun interessierte sie das auch nicht mehr. 

Aufmunternd prostete sie sich selbst mit ihrer Wasserflasche, die sie noch immer in den Händen hielt, zu. Dann machte sie eine ausladende Bewegung damit. „Auf dich Tim. Eigentlich muss ich dir für dein Verhalten dankbar sein. Sonst hätte ich all das hier niemals gesehen!" 

Sie ließ noch einen letzten Blick über das Ufer der Loire gleiten. Dann griff sie nach den Paddeln und umschloss sie fest mit ihren Fingern. Jetzt wusste sie ganz genau, wohin sie ihr nächster Urlaub führen würde. Nach Schottland.


Fotos: http://www.sxc.hu 

Hintergrund: Ich sollte mir zu einem Bild (eine Frau, fotografiert von hinten, in einem Paddelboot auf einem Fluss) eine Geschichte ausdenken. Die Zeilenanzahl war vorgegeben. Das kam dabei raus.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein Freund von mir sagt immer: "Besser allein als schlecht begleitet." Ich finde diesen Satz sehr klug. Wahrscheinlich wird auch Anna bald merken, wie richtig das ist. Oder schickst du ihr noch einen netten Franzosen die Loire hinunter?

Lana Silny on 22. Februar 2014 um 11:05 hat gesagt…

Ja, das stimmt. Das ist wirklich ein sehr kluger Satz. Anfangs, als ich die Geschichte geschrieben habe, fiel mir folgendes dazu ein: Manchmal ist es besser, loszulassen, um zu sich zu finden (oder um weiterzukommen). Aber als Titel wäre das natürlich nicht passend gewesen ;-)

Und ne, Anna bekommt keinen netten Franzosen zur Seite gestellt. Die soll jetzt erst mal schön eine Weile für sich blieben. Eine Weile nur mit sich selbst zu sein, tut den meisten Menschen gut. Viele bekommen das nur nicht hin, weil sie nicht alleine sein können. (Das ist zumindest meine bescheidene Meinung).

Aber Marlies und Amarillis Waldfeee auf Facebook möchten gerne wissen, wies weiter geht und von Annas Erlebnisse in Schottland hören, lach. Vielleicht kriegt sie dann nen netten Schotten? ;-)

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